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Der Sonnenuntergang der Anderen 
Zur Malerei von Thomas Kabelitz 
Die reine Darstellung von Naturlandschaften scheint zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein erschöpftes Thema der bildenden Kunst zu sein, ähnlich dem gemalten offiziellen Porträt, welches außerhalb des Bundeskanzleramtes ebenfalls keine ernstzunehmende Rolle mehr spielt. Offenbar stellt die bloße wirklichkeitsnahe und darüber hinaus absichtslose Wiederspiegelung von Natur keine Herausforderung für die bildende Kunst mehr dar. Man könnte annehmen, dass die Naturdarstellung allein um des Schönen willen nur noch für das Dekorative taugt und sich heute, überspült von postmoderner Zitier-Manie, demzufolge allenfalls „in Anführungszeichen“ vortragen lässt.Anstatt die Schönheit der realen Welt zu preisen, konzentrieren sich künstlerische Interessen heute in breiter Front auf Reflektionen über das kulturell gefilterte Bild – auch das der Natur – wie es uns in der Werbung und als filmische Kulisse allgegenwärtig präsentiert wird. Aus der Klaviatur stimmungserzeugender Triggersignale sind die primären Natureindrücke (der klare Bach oder das tiefgrüne Dunkel des Waldes) im außerkünstlerischen Bereich auch heute nicht wegzudenken. Produktwerbungen, insbesondere der Lebensmittelindustrie, beschwören damit nach wie vor wirksam unsere Assoziationen zur Reinheit und Sauberkeit ihrer Erzeugnisse herauf. Allerdings ist festzustellen, dass schon der eine oder andere Zeitgenosse heutigentags eine gewisse Scham beim fotografischen Aufnehmen des Urlaubs-Sonnenuntergangs am Meer verspürt. Die Gründe dafür mögen in der Erfahrung der Austauschbarkeit derartiger Bilder liegen oder darauf aufbauend in der Wahrnehmung, das festgehaltene Bild würde als „Kitsch“ den Leumund der eigenen Geschmackssicherheit gefährden.Der These des Medientheoretikers Marshall McLuhan folgend, dass das Medium selbst die Botschaft sei, konzentrierten Maler wie Gerhard Richter oder in den 1990er Jahren auch der Dresdner Eberhard Havekost ihr Interesse auf die Träger der Übermittlung von medialen Bildern. Die Fotografie, das Fernsehbild oder die Massen-Bildmedien im Allgemeinen wurden zu prominenten Themen der Malerei. Nicht von ungefähr benannte Havekost eine Reihe von Landschaftsbildern, die er in den Jahren 1999 bis 2002 malte, mit dem Titel„Benutzeroberfläche“. Seine Gebirgsszenerien, auf den ersten Blick in einer klaren Motivtradition stehend, offenbarten nur durch ihre Kühle, Distanziertheit und kompositorisch ungewöhnliche, wie zufällig wirkende Bildausschnitte, dass Natur bei ihm lediglich in ihrer Eigenschaft als mediale Konstruktion Betrachtung findet.Auch die Landschaftsgemälde von Thomas Kabelitz zeigen nicht einfach nur Ausschnitte dessen, was wir beim Verlassen der Städte links und rechts des Weges als „Natur“ wahrnehmen. Was an seinen Bildern auffällt, ist die Tatsache, dass sie fast immer ein Nirgendwo zeigen, Orte, bei denen es nicht darauf ankommt wo sie hingehören und ob sie topografisch lokalisierbar sein könnten. In sofern präsentiert er malerische Darstellungen einer verallgemeinerten Idee von Natur, welche für „Landschaft“ als Gesamtbegriff stehen könnten.Obwohl Kabelitz zuweilen mit hochgradig stimmungsevozierenden Motiven wie Meeresstrand und Sonnenuntergang aufwartet, schafft er keine primären Stimmungslandschaften, denn auch seine Bilder beziehen sich nicht vordergündig auf die reale Welt. Es drängt sich vielmehr die Künstlichkeit der Darstellungen als Eindruck in den Vordergrund. Schöpfungen unserer Kultur und auch die künstlerische Tradition stehen im übertragenen Sinn vor den realen Bäumen und dem realen Himmel. Ein dichter Wald mit anrührend blau blühendem Wiesengrund ist (nur) „Renatur“ (2006). Was der Maler zeigt, ist trotz dergleichen Anschein nicht die untergehende Sonne an sich, sondern beispielsweise „Tarkowskij(s) Sunset“ (Versionen 1-5, 2006). Er konstruiert keine Stimmungen, er thematisiert lediglich das Spiel mit denselben, indem er ihre Formulierung anderen Autoren zuweist. Seine Romantik (so man die in seinen Bildern lautwerdenen reflektierten Betrachtungen mit diesem Begriff charakterisieren will) kommt aus zweiter Hand. Sie wurzelt in angedeuteten Bezügen zur Kunstgeschichte und zum Filmischen.Oft lässt er im Bildaufbau den Hintergrund sofort auf den Vordergrund folgen. Ein ähnliches Vorgehen brachte dem Maler Caspar David Friedrich einst die Unterstellung verbildlichter Ewigkeitssehnsucht ein. Plausibel oder nicht, Friedrichs Malerei ging zweifelsohne weit über die reine Abbildung hinaus, er „sampelte“ seine Bildkompositionen aus zahlreichen Skizzen und ließ Naturgegenstände zu komplexen Symbolen werden.Sollten sich im Hinblick auf die von Friedrichs Werk beispielhaft verkörperte Landschaftsauffassung der Romantik des 19. Jahrhunderts Parallelen zur Malerei von Thomas Kabelitz finden? Und: Wofür könnten seine Bilder im Kontext heutiger Zusammenhänge stehen?Abgesehen von einem originell respektlosen Friedrich-Zitat mit dem Titel „Transformation“ (2005), wo das berühmte „Kreuz im Gebirge“ (1808, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister) durch eine Gruppe von Windgeneratoren paraphrasiert wird, erweist sich Kabelitz vor allem in der symbolischen Aufladung seiner Landschaftsbilder dem Anspruch nach als würdiger Urenkel des großen Romantikers.In einer größeren Gruppe seiner Werke setzte er sich seit etwa zwei Jahren im Besonderen mit dem Bildthema des Waldes auseinander. Die Uhr scheint still zu stehen in den gemalten Szenerien, wie als ob sie durch tagelange Belichtungen in einer Camera Obscura aufgenommen wären. Alles Zeitliche ist wie herausgelöscht, die Formen sind erstarrt, Details wie ausgeputzt und vereinzelt überlegt neu gesetzt. Der Maler tritt gleichsam einen Schritt zurück vor seinen Motiven.Geradezu kontrastiv dazu bringt Thomas Kabelitz in einer Reihe von Bildtiteln Bezüge seines Landschaftsbegriffs zu Bewegung und Stillstand zum Ausdruck. „Abschied“, „Abfahrt“, „Auf dem Weg“ und „Ankunft“ (alle 2007) lassen die Idee der Reise, der Bewegung und der Zeitlichkeit aufkommen und suggerieren, dass Kabelitz die Landschaft als sinngeladene Folie betrachtet. Selbstbewusst schreibt er den malerischen Konstruktionen von Landschaft trotz deren scheinbarer Abgenutztheit neue Bezüge zur „Lebensreise“, zum im Fluss befindlichen Werden und Vergehen ein. Damit stellt er sich in die Traditionsreihe romantischen Strebens nach der Re-Poetisierung des Lebens respektive der Natur und bezieht Stellung außerhalb der erwähnten postmodernen Aneignungsstrategien.Dort, wo seine Motive mitunter in Einzelheiten bestimmten Landschaften entsprechen, wird der romantische Grundton wiederum von lakonischen Verweisen auf das moderne Verhältnis von Natur und Zivilisation gebrochen.So erscheint der titelgebende Fluss des Bildes „Elbe“ (2003) als ein das Bild fast mittig teilender Streifen in grauen Tönen, recht leblos und ein wenig an die Flatline der Herztöne eines Sterbenden auf dem EKG-Monitor erinnernd. Darüber und darunter findet statt, was das Bild eigentlich ausmacht: ein Rasenstück am unteren Bildrand und zwei Hochhaustürme im Hintergrund, die wirken als würden sie auf einem Sockel aus Bäumen am Flussufer stehen. Am diesseitigen Ufer steht eine von hinten sichtbare Figur, die Ausschau nach dem alles andere als fernen Horizont hält wie einst der „Mönch am Meer“.In „Discovery“ (2006) zielt Kabelitz demgegenüber offenbar auf eine direktere metaphorische Beziehung. Der Titel erschließt sich nur im Hinblick auf ein Ereignis, welches zeitlich vor der gezeigten Situation liegt. Ähnlich wie bei Pieter Bruegels „Fall des Ikarus“ (um 1555-58, Brüssel, Museés Royaux des Beaux-Arts), wo vom Flugunfall des Titelhelden nur noch ein am Bildrand aus dem Wasser ragendes Bein kündet, weist hier lediglich ein vertikales Wolkengebilde über der unspezifisch charakterisierten Kulturlandschaft auf das Ereignis eines Raketenstarts hin. Der vage Hinweis auf das eben Vergangene wird noch dazu von den prominent ins Zentrum gerückten Windkraftanlagen überlagert. Diese bildbestimmenden Vertikalen gemeinsam mit den angepflanzt wirkenden Bäumen und den gepflügt erscheinenden Äckern geben der Szene den Anschein einer Behauptung der Allgegenwart menschlicher Eingriffsspuren in der Landschaft. Ähnliche Hinweise finden sich in „Frozen“ (2005), einem frostig erstarrten Meeresgestade, über dessen Horizont Scheinwerferbahnen den Himmel parzellieren. Pointierter kommt in dem Gemälde „Tarnung“ (2005) ein parasitäres Verhältnis der Zivilisation zur Natur zum Ausdruck: Kompositorisch ähnlich hierarchisch wie im Bild „Elbe“ sind Vordergrund und Hintergrund durch eine massive Mauer von einander abgeriegelt. Drei ebenso abweisend wirkende Türme scheinen das hinter der Mauer aufragende undurchdringliche Grün wie ein Schutzschild vor sich aufzubauen. Den Gegenpol zu dieser grünen Trutzburg bilden im Vordergrund zarte Gräser und Blüten.Zentralperspektive und Symmetrie werden hier zu einer Metapher für erbarmungsloses menschliches Wirken, welches selbst jedoch keine direkte Darstellung findet. Meist sind die gemalten Flure, Berge und Meeresufer menschenleer.Weit entfernt von der direkten Naturstudie konstruiert Thomas Kabelitz seine Landschaften und löst sie in ornamentierte Flächen auf. Klare und malerisch präzise formulierte Details suggerieren Konzentration, während der lebendig lockere Pinselzug innerhalb der Binnenformen Lebendigkeit vermittelt. Was jedoch lebendig erscheint, ist nur die reine Malerei! Kabelitz erzeugt in seinen Bildern eine ambivalente Raumwirkung, die an Theaterkulissen erinnert. Der mit delikaten Farbverläufen angelegten Räumlichkeit wird von merkwürdig unvermittelt aneinanderstoßenden Flächen quasi direkt widersprochen. Was entsteht, ist eine Vorführung von Raumsuggestion, etwas zwischen Räumlichkeit und gestaffelter Flächigkeit, jedoch keine Illusion eines konsumierbaren „Lebens-Raumes“. Die mitunter paradiesische Freundlichkeit von Rasenstücken lädt nicht ein zum Verweilen, oft sprießen die Halme und Stämme aus dem Bodenlosen von irgendwo unterhalb des Bildausschnittes ins Blickfeld. Bereits die Wahl der Titel für die Gemälde gibt oft Auskunft darüber, dass keine Identifikation des Betrachters mit den Bildmotiven intendiert ist. Abgesehen von der Gruppe seiner Bilder, wo Architekturen als Piktogramme menschlicher Gestaltung der Umwelt eine Rolle spielen, inszeniert der Maler die Natur als nicht auf den Menschen bezogene Entität.Während Caspar David Friedrich oft die Weichbilder von Städten als Zentren der Zivilisation in seine Naturdarstellungen eingebunden hat, integriert Thomas Kabelitz Bäume, Meereswellen und Himmelsformationen in unsere an technische Linien und Bildschirm- oder fotografische Abstraktionen der Fläche gewöhnte Blickkonvention. Im Grunde ergibt dies trotzdem eine ähnliche Situation: wo in der romantischen Landschaftsmalerei die Unschuld und Reinheit der Natur als Gegenbild zum zeitgenössischen Leben heraufbeschworen wurde, bezieht Thomas Kabelitz sowohl die kunsthistorische Tradition der Ideenmalerei thematisch mit ein als auch unsere medienkonditionierte Betrachtung der Natur – den Blick auf eine Natur, die zwar ihre Unschuld durch unsere eigene Einwirkung verloren haben mag, nicht jedoch ihre äußere Schönheit.


Johannes Schmidt, September 2007